Salutogenese, Kohärenzgefühl und das Wachstums-Quadrat® – Wie gesunde Arbeit (besser) gelingen kann.
- etc. PP
- vor 5 Tagen
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Was hält Menschen gesund – selbst dann, wenn sie unter Stress stehen? Diese Frage stellte sich der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky in den 1970er Jahren. Statt wie viele andere die Ursachen von Krankheit zu erforschen (Pathogenese), wandte er sich dem zu, was Menschen trotz Belastung stabil bleiben lässt: der Salutogenese.
Im Zentrum seiner Theorie steht das sogenannte Kohärenzgefühl. Drei zentrale Komponenten machen es aus:
Verstehbarkeit: Die Welt ist kognitiv einordenbar. Was um mich herum geschieht, erscheint mir logisch, nachvollziehbar und erklärbar.
Handhabbarkeit: Ich habe (oder kann mobilisieren) genügend Ressourcen, um mit Anforderungen umzugehen.
Sinnhaftigkeit: Ich erlebe das, was ich tue und erfahre, als bedeutsam und wertvoll.
Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl bleiben gesünder, belastbarer und können auch in Krisen konstruktiv handeln.
Und was hat das mit Arbeit zu tun?
Sehr viel. Denn ob wir einen Job als „gesundheitsfördernd“ erleben oder als Belastung, hängt genau davon ab, ob wir verstehen, was passiert, ob wir damit umgehen können und ob es für uns einen Sinn ergibt.
Gerade in der heutigen Arbeitswelt, die sich durch Komplexität, Tempo und Unsicherheit auszeichnet, kommt diesen drei Komponenten eine zentrale Bedeutung zu:
Wenn Kommunikation, Strukturen oder Prozesse unklar sind, entsteht Verwirrung statt Verstehbarkeit.
Wenn Ressourcen fehlen oder Abläufe chaotisch sind, sinkt die Handhabbarkeit.
Wenn Menschen keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen, verlieren sie Motivation und Resilienz.
Doch wie kann man diese drei Ebenen konkret stärken?
Das Wachstums-Quadrat®: Psychologische Rollen für gesunde Zusammenarbeit
Hier kommt das von Mario Pracht entwickelte Wachstums-Quadrat® ins Spiel. Es beschreibt vier psychologische Rollen, die sowohl intrapersonell (im Umgang mit uns selbst) als auch interpersonell (im Miteinander mit anderen) wirksam werden können – als konstruktive Alternative zum Drama-Dreieck nach Karpman.
Gerade im Kontext von Führung, Teamarbeit und Kollegialität entfalten diese Rollen eine besondere salutogenetische Kraft. Denn jede Rolle zahlt auf das Kohärenzgefühl ein – also auf das, was Arbeit als verständlich, handhabbar und sinnhaft erlebbar macht.
In diesem Beitrag liegt der Fokus zunächst auf der interpersonellen Perspektive: Wie sich diese Rollen in der Zusammenarbeit zeigen – und wie sie Bedingungen schaffen, unter denen gelingende Arbeit überhaupt möglich wird.
🔹 Mehr an Verstehbarkeit: durch die Rolle des Ermöglichers
Der Ermöglicher schafft ein Umfeld, in dem Menschen sich gehört, gesehen und sicher fühlen. Er kreiert Räume, in denen Fragen gestellt werden dürfen, wo Unsicherheit sein darf und wo sich aus Chaos Klarheit entwickeln kann.
Er tut das auf drei Ebenen:
Prozessual: durch Strukturen, Rituale und transparente Kommunikation.
Psychologisch: durch Empathie, Offenheit und eine nicht wertende Haltung.
Materiell: durch ausreichende Ressourcen und realistische Planung.
Indem der Ermöglicher Komplexität reduziert und Menschen Orientierung gibt, entsteht Verstehbarkeit.
🔹 Mehr an Handhabbarkeit: durch Ermöglicher & Gestalter
Die Handhabbarkeit wird gestärkt, wenn Menschen erleben: 👉 „Ich kann mit dem, was auf mich zukommt, umgehen.“
Der Ermöglicher stellt dafür die nötigen Rahmenbedingungen her. Er sorgt dafür, dass Ressourcen zugänglich sind, Prozesse abgestimmt und Beziehungen stabil.
Der Gestalter hingegen bringt Menschen ins Handeln:
Er motiviert, Verantwortung zu übernehmen.
Er inspiriert, eigene Lösungen zu entwickeln.
Er zeigt, dass Veränderungen machbar sind – nicht abstrakt, sondern konkret.
Diese Kombination aus Unterstützung (Ermöglicher) und Ermächtigung (Gestalter) stärkt das Gefühl: 👉 „Ich kann. Ich darf. Ich wirke mit.“
🔹 Mehr an Sinnhaftigkeit: durch Wertschätzer und Gestalter
Sinnhaftigkeit entsteht, wenn Menschen erleben, dass ihr Tun bedeutsam ist – für sie selbst und für andere.
Der Wertschätzer erkennt Stärken, Erfolge und Beiträge an – auch die kleinen. Er verknüpft Aufgaben mit Werten und ermöglicht so eine tiefere emotionale Verbindung zur Arbeit. Seine Haltung schafft Sinn durch Beziehung und Resonanz.
Der Gestalter schafft Sinn durch Beteiligung und Zielklarheit. Er kommuniziert Visionen, lädt zur Mitwirkung ein und zeigt: 👉 „Wir gestalten gemeinsam etwas, das zählt.“
So wird Sinn nicht „verordnet“, sondern erlebbar gemacht.
Fazit: Salutogenese ist Führungs- und Teamaufgabe
Die Idee der Salutogenese lässt sich hervorragend auf die Arbeitswelt übertragen – nicht als Theorie, sondern als konkrete Handlungsperspektive. Mit dem Wachstums-Quadrat® steht ein Modell bereit, das zeigt, wie gesunde Arbeit gelingen kann:
Durch Verstehbarkeit: Räume schaffen, in denen Orientierung möglich ist.
Durch Handhabbarkeit: Menschen befähigen, Verantwortung zu übernehmen.
Durch Sinnhaftigkeit: Verbundenheit, Wertschätzung und Beteiligung ermöglichen.
Wer diese drei Dimensionen mit den Rollen des Wachstums-Quadrats® stärkt, baut Stress sowie Unsicherheit ab und Selbstwirksamkeit auf.
Darum geht es bei gelingender Arbeit: Nicht weniger Belastung, sondern mehr Kohärenz.
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